„Die Globalisierung erfährt gerade einen grundlegenden Wandel“
Auf der jüngsten Amundi Investment Konferenz referierte Prof. Dr. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, zum Stand der Globalisierung und der Weltwirtschaft von morgen. Warum wir aktuell einen Paradigmenwechsel erleben, der vor allem Deutschland vor neue Herausforderungen stellen dürfte, erläuterte der renommierte Volkswirt im ausführlichen Interview.
Herr Prof. Schularick, es scheint, die Covid-Pandemie hat die immer weiter fortschreitende Globalisierung abrupt gestoppt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Die Pandemie war sicher ein Faktor, der nun zu einer Neubewertung der Globalisierung führt. Vor allem, weil im Zuge der Unterbrechung der Lieferketten die Risiken der engen wirtschaftlichen Verflechtungen klarer in den Fokus gerieten. Doch im Grunde haben wir es mit einem größeren Zyklus zu tun, der nun zu Ende geht. Das Prinzip „Wandel durch Handel“ ist eigentlich ein alte Globalisierungsidee, die rund 250 Jahre zurückreicht. Es hat zwar sein ökonomisches Versprechen eingelöst, doch die Welt wurde dadurch politisch nicht zwangsläufig ein stabiler, sicherer Ort.
Wie würden Sie den aktuellen Stand der Globalisierung beschreiben?
Die Welt bewegt sich momentan weg von dem altbekannten regelbasierten System – mit IWF, Weltbank, Welthandelsorganisation, GATT und ähnlichen Organisationen sowie Verträgen – zu einem, in dem die nationale Politik das Ausmaß der wirtschaftlichen Öffnung und die Handelsströme bestimmt.
Sehen wir ein Ende der Dominanz des Westens?
Jedenfalls kann man sagen, dass mittlerweile Länder, die für mehr als 50% des globalen BIPs stehen, diese alten, westlich dominierten Regeln nicht mehr uneingeschränkt akzeptieren. Die Welt von morgen dürfte deshalb nicht immer enger und vernetzter werden, sondern stärker von Kosten-Nutzen-Abwägungen geprägt sein, die der intensiven Globalisierung ihre Grenzen aufzeigen werden. Das ist definitiv ein Paradigmenwechsel.
Welche konkreten Auswirkungen dieses Paradigmenwechsels manifestieren sich bereits?
Das Beispiel der deutschen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zeigt das neue Wechselspiel zwischen strategischem Einsatz von wirtschaftlichen Ressourcen und der Abwehr von Abhängigkeiten gut auf: Die Tendenz geht klar in Richtung strategischer Autonomie in Schlüsselindustrien und -sektoren, des Erhalts technologischer Vorteile oder der Diversifikation von Lieferketten – bevorzugt unter befreundeten Staaten. Maßnahmen wie „Chips Act“ in den USA und der EU, die auf die Stärkung und Abschottung der westlichen Halbleitertechnologie setzen, richten sich klar gegen Russland und die erkannten Schwachpunkte der chinesischen Autobauer. Man könnte sagen, der Giftschrank der Geoökonomie wurde geöffnet und man kämpft nun mit härteren Bandagen – vor allem auch beim Zugang zu kritischen Rohstoffen.
Was bedeutet das für das globale Wachstum der Weltwirtschaft?
Die wächst aktuell mit rund drei Prozent, doch der Rückenwind der Globalisierung bleibt offenkundig aus. Auch wenn sich die USA vergleichsweise robust zeigen und aufstrebende Schwellenländer wie Indien hohe Wachstumsraten aufweisen, belasten doch auch strukturelle Probleme die Konjunkturaussichten in wichtigen Industrieländern – wie Deutschland oder Südkorea – sowie natürlich die aktuelle Schwäche Chinas.
Wie bewerten Sie die Situation der chinesischen Wirtschaft?
Chinas Ökonomie befindet sich am Ende eines langen Immobilienbooms mit großem Verschuldungsüberhang. Die Eingriffe der Regierung verhindern zwar eine schwere Finanzkrise, aber die kurz- und mittelfristigen Wachstumserwartungen sind deutlich gefallen. Auch wir rechnen dort mit einer längeren Phase geringen Wachstums.
Was bedeutet das für die Zukunftsaussichten des Standorts Deutschland?
Wenn man die wichtigsten Herausforderungen zusammenfasst, muss man feststellen, dass drei „große Wetten“ Deutschlands an ihr Ende gekommen sind: Zuerst die Globalisierung und chinesisches Wachstum als Exportmotor. Dann die günstige russische Energie als Brückentechnologie für die Klimatransformation. Und schließlich – mit Blick auf die mögliche Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident im Herbst – die Dauerhaftigkeit der amerikanischen Sicherheitsgarantie. Politik und Wirtschaft in Deutschland sollten jetzt also konsequent umsteuern, neue Wachstumspotenziale erschließen und Lösungen finden. Wir müssen in der Industriepolitik weg von der Strategie des Bewahrens und Erhaltens nicht zukunftsfähiger Branchen und Technologien hin zum Verändern. Die aktuelle Diskussion geht da durchaus in die richtige Richtung. Ich würde mir aber beispielweise noch mehr Investitionsanreize wünschen, um gezielte Impulse zu setzen.
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