„Die Weltwirtschaft und damit auch die Investoren befinden sich auf Achterbahnfahrt“. Mit dieser Aussage startete die Moderatorin Swaha Pattanaik vom Amundi Investment Institute am 8. April unser Webinar „Time for Europe: Unlocking Europe’s Investment Potential“.
Teilnehmer waren die Amundi-Expertinnen und -Experten Monica Defend, Leiterin des Amundi Investment Instituts und Chefstrategin, Barry Glavin, Head of Equity, und Amaury D’Orsay, Head of Fixed Income. Sie diskutierten Europas Rolle und die Chancen, die sich angesichts der aktuellen globalen Marktturbulenzen – ausgelöst durch die aggressive Zollpolitik Donald Trumps – bieten.
Moderatorin: Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Monica Defend: Was wir sehen, ist im Grunde eine ernsthafte Störung des Freihandelsmodells. Die Reaktion der Märkte auf die Zollankündigungen war so extrem, weil ihr Ausmaß unerwartet kam. Diesen Umfang hatten die Märkte nicht eingepreist. Und alles kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die US-Wirtschaft ohnehin schon verlangsamt hat.
Kurzfristig betrachtet wird jeder unter den Zöllen leiden. Jeder Vermögenswert, der mit dem Gewinnwachstum der Unternehmen und dem Wirtschaftswachstum allgemein korreliert, wird betroffen sein und auf ein niedrigeres Niveau absinken. Aber mittelfristig könnte sich für viele Länder die aktuelle Suche nach neuen Allianzen auszahlen.
Moderatorin: Wie sieht es auf den Aktienmärkten aus?
Barry Glavin: Die Aktienmärkte sind den Turbulenzen besonders ausgesetzt. Seit den jüngsten Höchstständen sind sie um etwa 20% gefallen. Marktsegmente mit besonders hohen Bewertungen wurden besonders hart getroffen, vor allem die Sektoren Informationstechnologie und zyklische Konsumgüter, während die traditionell defensiven Sektoren wie Versorgungsunternehmen und Telekommunikation relativ betrachtet besser abschnitten.
Trotz des Ausmaßes der Korrektur sind die Bewertungen nicht besonders günstig. Der US-Markt wurde vom 25-fachen auf das 20-fache der Gewinne herabgestuft. Zum Vergleich: Das langfristige durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt dort nahe bei 16. Europäische, japanische und Schwellenländer-Märkte werden alle mit einem deutlichen Abschlag gegenüber den USA mit dem 12-14-fachen der Gewinne gehandelt, was dem jeweiligen langfristigen Durchschnitt entspricht oder leicht darunter liegt. Der US-Markt preist also weiterhin die optimistischste Entwicklung ein, obwohl er den aktuellen politischen Entscheidungen stärker ausgesetzt ist.
Moderatorin: Und die Anleihenmärkte?
Amaury D’Orsay: Die Volatilität war in den letzten Tagen auch hier sehr hoch. Der Markt beginnt, eine hohe Rezessionswahrscheinlichkeit einzupreisen.
Im aktuellen Kontext bevorzugen wir auf der Anleiheseite Europa, indem wir unter anderem in Investment-Grade-Anleihen investieren, und zwar aus drei Gründen. Erstens: Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das Land, das einen Handelskrieg beginnt, am meisten leidet. Und wir sehen einen großen Unterschied zwischen der Entwicklung in den USA und Europa im Vergleich zum letzten Jahr und zur ursprünglichen Prognose. Der zweite Grund: Deutschlands Plan, massiv in Infrastruktur und Verteidigung zu investieren, wird das BIP in Europa ankurbeln. Der dritte Grund: Das Umfeld für die EZB und für die US-Notenbank sind nicht dasselbe. Die Fed hat einen härteren Job. Denn sie wird zwischen Inflation und Wachstum navigieren müssen, während die EZB dieses Dilemma nicht hat. Sie kann sich viel stärker auf Wachstum konzentrieren. Wir haben eine Situation, in der es auf der Wachstumsseite für die US-Unternehmen schwierig wird und auf der monetären Seite für die europäischen Unternehmen akkommodierender. Aus diesem Grund tendieren wir ganz klar zu Europa.
„Europäische Banken finden wir sehr interessant“
Bezüglich der Investmentsegmente bevorzugen wir europäische Banken. Zum einen haben sie strukturell über viele Jahre hinweg unter den negativen Zinsen gelitten. Sie haben daher viel an ihrer Bilanz und ihren Erträgen gearbeitet. Und jetzt bekommen sie Rückenwind durch die Zinsentwicklung. Auch sind europäischen Banken in einer besseren Position als die großen europäischen Nicht-Finanzunternehmen, weil ihr Geschäftsfeld stärker inländisch oder zumindest europäisch ausgerichtet ist. Darüber hinaus richten sie sich eher nach Asien als in die USA. Im Vergleich dazu sind die großen europäischen Unternehmen stärker global und gerade auch auf die USA ausgerichtet. All das veranlasst uns also, europäische Banken zu bevorzugen.
Barry Glavin: Auf kurze Sicht gibt es bei einem Handelskrieg keine Gewinner. Wir erwarten, dass die USA am meisten leiden. Sie sind ihrer eigenen Politik zu hundert Prozent ausgesetzt. Sie müssen ein großes Haushaltsdefizit bewältigen, und das ohne den fiskalischen Spielraum, den wir in anderen großen Volkswirtschaften haben. Dieses Klima der Ungewissheit schafft an sich schon Gegenwind für das Ertragswachstum. In diesem Umfeld überlegen sich Unternehmen jede Investitions- und Einstellungsentscheidung mehrmals. Allein die Unsicherheit bremst so Gewinnwachstum und Produktivitätssteigerung.
Die USA haben eine Periode quasi ungezügelten Erfolgs hinter sich. Und im Vergleich zu anderen Märkten sind die Erwartungen nach wie vor sehr hoch. Die meisten Anleger gehen weiterhin davon aus, dass die USA bei der Aktienallokation immer gewinnen. Es ist also wahrscheinlich noch ein langer Weg, bis sich die Menschen an diese neue Normalität gewöhnt haben.
„Europa steht durch Investitionsprogramme an einem Wendepunkt“
Andererseits haben wir in Europa einen Markt, der viel vernünftiger bewertet ist. Europa wird zwar die Auswirkungen der Zölle spüren, aber weniger deutlich als die USA (viele europäische Unternehmen sind Global Player), und es gibt starke ausgleichende Faktoren. Die fiskalischen Anreize in Deutschland bilden, da sind wir uns wohl alle einig, einen Wendepunkt. Diese Initiative mit ihren umfangreichen Plänen für Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben hat das Potenzial, sich positiv auf die gesamte europäische Wirtschaft und das Ertragsumfeld auszuwirken. Angesichts der Inflationslage in Europa hat die EZB mehr Spielraum als die Fed. Und der Rückgang der Energiepreise, der durch das höhere Angebot der OPEC und die Erweiterung der LNG-Kapazitäten in den USA und Katar verursacht wurde, dürfte auch für Europa ein Segen sein. Und außerdem besteht immer noch die Möglichkeit eines Waffenstillstands und damit eines Wiederaufbaus in der Ukraine.
Bei all dem handelt es sich nicht um Prognosen oder Vorhersagen, sondern um plausible Ergebnisse, die noch nicht in den Aktienkursen eingepreist sind. Die europäischen Märkte bieten daher niedrigere Bewertungen und stabilere Gewinne als die USA.
Moderatorin: Monica, kommen Sie auf eines Ihrer Lieblingsthemen zu sprechen, nämlich die Diversifizierung von Portfolios und wie man sie robuster machen kann. In turbulenten Zeiten stürzen sich die Anleger in der Regel gern auf Gold.
Monica Defend: Ja, Gold ist eine der beliebtesten Anlageklassen. Es funktioniert als Diversifikator im Portfolio. Wir haben das Ziel für den Goldpreis nach oben korrigiert, und wir haben uns in bestimmten Portfolios über Derivate positioniert, um kein großes Risiko einzugehen. Bei den Rohstoffen müssen wir abwarten und in einem längeren Zeithorizont denken. Schwellenländer könnten sich nach Gelegenheiten umsehen, die sich als isoliert von der aktuellen Situation an den Weltmärkten erweisen.
Die Umstrukturierung des globalen Handels- und Finanzsystems wird sich langfristig auswirken. Wenn also die Präferenzen bisher in erster Linie auf der Bewertung, den Asymmetrien und dem relativen Wert beruhten, geht es jetzt zurück zu den Fundamentaldaten.
Barry Glavin: Ich denke, dass aus Sicht des Risikomanagements die Diversifizierung des Portfolios wichtiger ist denn je. Wir verfügen nie über perfekte Informationen, aber heute müssen wir besonders bescheiden bleiben und erkennen, dass wir es gleich mit einer ganzen Reihe von möglichen Risiken zu tun haben. Unsere Portfolios müssen dies widerspiegeln. Viele verfolgen daher Strategien, bei denen wir beispielsweise versuchen, zyklische und defensive Positionen auszubalancieren.
„Small Caps sind wieder attraktiv“
Wir halten Small Caps für sehr attraktiv. Diese Firmen wurden immer mit einem Aufschlag gegenüber großen Unternehmen gehandelt. Aktuell hingegen werden sie mit einem deutlichen Abschlag gehandelt. Dabei hat sich die Qualität der Unternehmen insbesondere in Bezug auf den Leverage-Effekt verbessert. Und unter dem Aspekt der Zollvermeidung bieten sie ein zusätzliches Plus: Sie sind viel stärker als Large Caps im Inland engagiert. Daher halten wir kleine Unternehmen in Europa und Japan für sehr attraktiv.
Moderatorin: Könnten die Zölle eine Möglichkeit sein, Druck auf die Partner in der EU auszuüben, und könnten sie kurzfristig aufgehoben werden, wenn Trump seine US-Investitionsziele erreicht?
Monica Defend: Die Haltung der EU-Kommission ist meiner Meinung nach in Ordnung. Wir wollen keine Vergeltungsmaßnahmen, sondern Verhandlungen. Ein wichtiger Punkt: Trump hatte im Wahlkampf nicht nur Zölle angekündigt, sondern auch Steuersenkungen, also einen fiskalischen Impuls, der die Wirtschaft wieder ankurbeln soll. Hier kann er auch nicht mehr lange abwarten, denn die Zwischenwahlen finden in anderthalb Jahren statt und er kann nicht zulassen, dass die USA in eine tiefe Rezession geraten. Es geht also darum, in welcher Reihenfolge, wie schnell und in welchem Umfang diese Themen umgesetzt werden. Und dann wird wahrscheinlich die zweite Etappe des Trump-Programms anlaufen.
Moderatorin: Große Umwälzungen bedeuten auch große Chancen, und schwerwiegende Turbulenzen eröffnen bisher ungeahnte Möglichkeiten. Die nächsten Wochen und Monate werden für Investorinnen und Investoren eine besonders spannende Zeit, in der keine Panik angebracht ist, aber viel Aufmerksamkeit, Diversifikationswillen und Flexibilität.
Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 08.04.2025. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.