Auf der jüngsten Amundi Investment Konferenz Ende September analysierten Prof. Dr. Lars P. Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und Direktor des Walter Eucken Instituts, sowie Amundi Deutschland CIO Thomas Kruse, was sich nach der US-Präsidentschaftswahl im Verhältnis zwischen den USA und Europa ändern könnte. Im ausführlichen Interview lesen Sie, welche Entwicklungen dabei gerade für Anlegerinnen und Anleger besonders wichtig sein könnten.

Herr Prof. Feld, Amerika sieht sich aktuell als die beherrschende Weltmacht durch geopolitische Krisen, alte und neue Konkurrenten herausgefordert. Was könnte dies für das Verhältnis zwischen den USA und Europa bedeuten?

Feld: In der Tat sehen wir einen aufziehenden Kalten Krieg 2.0 mit dem USA-geführten Block auf der einen und der Achse China-Russland auf der anderen Seite. Dazwischen befinden sich eine Reihe blockfreier Staaten wie Indien, die sich opportunistisch positionieren. Ich denke, diese Konstellation könnte den USA und Europa auf mittlere Sicht wieder deutlicher vor Augen führen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Denn die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich die USA als alleiniger Weltpolizist auf Dauer überfordern und sich die Europäer von der Vorstellung verabschieden sollten, sich als völlig eigenständiger Player zu positionieren. 

Herr Kruse, welche Auswirkungen auf die Europäische Wirtschaft erwarten Sie von der US-Wahl am 05. November?

Kruse: Die Wahl hat natürlich eine hohe Relevanz für alle internationalen Märkte und die globale Wirtschaft. Und das ganz unabhängig davon, wer das Rennen gewinnt. Denn wir rechnen in beiden möglichen Fällen mit einer härteren Gangart der Amerikaner: Sei es in der grundlegenden Rivalität zu China, den aktuellen geopolitischen Krisen oder der internationalen Konkurrenz in Wirtschaft und Handel – insbesondere auch zu Europa. Die Lockwirkung des sogenannten „Inflation Reduction Act“, ein Subventionsprogramm zur überwiegend klimaneutralen Neuausrichtung der US-Wirtschaft, verdeutlicht beispielsweise diese neue Wettbewerbssituation für Europa: Rein betriebswirtschaftlich sprechen durch diese Subventionen und guten Rahmenbedingungen natürlich überzeugende Gründe für europäische Investitionen oder Ansiedlungen in den USA. Wir sollten dieses offene „Abwerbeangebot“ als Aufforderung betrachten, dringend an der Verbesserung der eigenen Standortbedingungen arbeiten, um gegen den raueren Wind aus den USA bestehen zu können.    

Wie sollten die Europäer sich Ihrer Meinung nach nun positionieren?

Feld: Sie sollten selbstbewusst zeigen, was sie gerade im technologischen Bereich zu bieten haben und dass sie ein starker Partner sein können. Denn die USA werden erkennen müssen, wie wichtig das Bündnis mit den Europäern ist, um die Herausforderung durch den chinesisch-russischen Block in die Schranken zu weisen. Ich stimme auch Herrn Kruse völlig zu, dass die Europäer im Sinne einer selbstbewussten Positionierung ihre Rahmenbedingungen verbessern müssten. Das betrifft vor allem die viel zu starke Bürokratie und Regulierung innerhalb der EU.

Kruse: Ein Thema, bei dem wir in Europa richtig gut sind, ist beispielsweise der Bereich Innovation und Forschung – auch beim aktuellen Zukunftsthema schlechthin: Künstliche Intelligenz. Wir haben eine ganze Reihe von Patenten und Ideen, doch leider schaffen wir es bislang kaum, diese marktreif zu machen. Zur Abhilfe sollten wir konsequenter an den vorhandenen Stellschrauben drehen: Sei es die angesprochene Entbürokratisierung, vielleicht aber auch eine Kapitalmarktunion mit mehr Tiefe für Start-Up-Finanzierung oder auch mehr politisches Miteinander innerhalb der EU, statt nationales Denken.

Sollten Anlegerinnen und Anleger bereits strategisch auf die US-Wahl reagieren?

Kruse: Natürlich gibt es programmatische Unterschiede zwischen Trump und Harris, die sich beispielsweise kurzfristig auf die Aktienmärkte auswirken könnten – etwa die Steuersenkungspläne von Trump versus die momentanen Steuererhöhungspläne von Harris. Aber was dann genau umgesetzt würde, kann man bei einem solch engen Kopf-an-Kopf-Rennen ebenso wenig seriös vorhersagen wie den Ausgang der Wahl selbst. Deshalb orientieren wir uns momentan auch strikt an den wichtigsten Wirtschaftsdaten: Wir untergewichten beispielsweise wegen der konjunkturellen Abschwächung derzeit US-Aktien in unseren Portfolios zugunsten europäischer Titel. Nach der Wahl werden wir dann genau beobachten, welche Impulse auf den US-Markt durch den politischen Neustart wirken könnten und uns entsprechend positionieren. Generell sollten Anlegerinnen und Anleger sich also nicht nur auf eine höhere Volatilität einstellen, je näher der Wahltag rückt. Auch die Wochen danach könnten noch für die eine oder andere Überraschung sorgen, für die man dann ein gewisses Maß an Flexibilität einplanen sollte.

Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 25.09.2024. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.