Die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages hat es gezeigt: Die Zustimmung des Bundesrates zum Schuldenpaket war die große parlamentarische Hürde, aber die Verantwortung liegt nun bei der neuen Regierung. Die Koalitionsverhandlungen laufen und am 24.03. haben die 16 Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vorgelegt. Die bisherigen Gespräche zeigen aber auch, dass es noch viele Differenzen gibt, für die Lösungen gefunden müssen, um eine Regierungsbildung bis Ostern abzuschließen. 

Wenn es Friedrich Merz gelingt eine stabile Regierung zu bilden, hat Deutschland eine neue Handlungsfähigkeit, die es unmittelbar zu nutzen gilt. Auch wenn die – hoffentlich – positiven Auswirkungen möglicher Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben nicht vor 2026 zu spüren sein werden, wird die neue Regierung gut daran tun, frühzeitig die richtigen Grundsteine zu legen. Das Schuldenpaket darf nicht als Ruhekissen verstanden werden. 
Entscheidend ist ein gezielter und umsichtiger Einsatz der jetzt gewonnenen, finanziellen Möglichkeiten, um langfristig das Potenzialwachstum von Deutschland zu steigern. Einen wichtigen Aspekt muss man hervorheben, weil er die Richtung weist: Kredite aus dem Sondervermögen dürfen nur eingesetzt werden, wenn auch mindestens 10 Prozent des Kernhaushalts in Investitionen fließen. Mit diesem Grundgedanken kann es der neuen Regierung gelingen, die notwendigen Reformen umzusetzen, ohne das Wachstum aus den Augen zu verlieren.

Potenzialwachstum entscheidend

Mit der notwendigen Strukturreform und den angesprochenen Re-Investitionen von 10 Prozent, sehe ich durchaus die Möglichkeit, dass Deutschland mit diesem Paket 1,5 bis 2 % Wachstum pro Jahr generieren kann. Das gleiche gilt für das Potenzialwachstum: Es sollte ein klares Ziel sein, 0,8 % bis 1 % ab 2030 anzustreben. Zentral wird hierbei auch der gerade viel beschworene europäische Zusammenhalt. Investierte Mittel müssen stärker auf Deutschland, bzw. die EU konzentriert werden. Aktuell werden beispielsweise nur 30-35% des Rüstungsbudgets in Europa ausgegeben. 
In der Komplexität der aktuellen weltpolitischen Lage liegt aber auch eine große Chance. Europa muss als Einheit stärker werden und geschlossen agieren. Neben den finanziellen Fragen gilt das in erster Linie auch in Fragen der Sicherheit und der Energieversorgung. 

Selbstverständlich ist es mehr als bedauerlich, dass Europa wieder in eine Zeit der Aufrüstung eingetreten ist, aber die historische Wende in der Finanzpolitik und das verabschiedete Infrastrukturpaket sind für Deutschland und Europa ein Türöffner, um das Marktnarrativ der strukturellen Schwäche zu einem verbesserten, mittelfristigen Wachstum zu verschieben.

Finanzierungsbedarf steigt

Trotzdem bedeuten die erhöhten Ausgaben für die EU einen Kraftakt. Im Jahr 2024 lagen die Verteidigungsausgaben bei schätzungsweise 326 Mrd. EUR, was 1,9 % des BIP der EU entspricht. Das Erreichen von 3 % bis 3,5 % des BIP würde für die EU eine erhebliche Anstrengung bedeuten. Unter Berücksichtigung des Verteidigungshaushalts und des Infrastrukturplans dürfte sich der jährliche Finanzierungsbedarf in den nächsten Jahren um 250 bis 325 Milliarden Euro erhöhen.

Zum aktuellen Zeitpunkt ist es eine gute Nachricht, dass sich das Rating von Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verändern wird. Verglichen mit anderen Ländern ist die neue, prognostizierte Verschuldung Deutschlands mit Blick auf das Bruttoinlandsprodukt kein Drama. Relevant für die Rating-Einschätzung ist vor allem die erwartete Wirtschaftsleistung, aber auch die politische Stabilität.

Aber was heißen diese Entwicklungen für die Bundesanleihen und die Entwicklung der Inflation? Gerade bei den Bundesanleihen ist die Situation schwer einzuschätzen. Wir haben den Anstieg bei den Renditen nach der Verabschiedung des Schuldenpakets unmittelbar gesehen. Hier helfen die nüchternen Zahlen, um die Dimension zu umreißen: Das Volumen aller ausstehenden Anleihen des Bundes und der Länder zusammen liegt bei 1,76 Billionen Euro1. Und in den kommenden zehn Jahren werden dann entsprechend 1,2 bis 1,7 Billionen neu dazukommen. Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich das auch auf die Zinsen und die Inflation auswirkt. Wir gehen davon aus, dass die Inflation zwar mittelfristig hoch bleibt, die EZB kurzfristig aber noch die Leitzinsen senken wird.

Aber ich möchte hier auf den Ausgangspunkt zurückkommen: Die Unsicherheit ist aktuell in vielen Bereichen groß, sie darf uns aber nicht lähmen. Genauso wenig dürfen die finanziellen Möglichkeiten nicht als Ruhekissen dienen. Wir müssen vielmehr in allen Bereichen, von der Finanzindustrie über die Realwirtschaft bis hin zur Politik, offen bleiben für neue Blickwinkel und aktiv eine Flexibilität leben, die man Deutschland bisher nicht selbstverständlich zugeordnet hat. 

Von Thomas Kruse, CIO bei Amundi Deutschland

1. Quelle: Bloomberg, abgerufen am 24.03.2025

Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von dem Amundi Asset Management und sind Stand 24. März 2025. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung des Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte des Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.