Indien ist das bevölkerungsreichste Land der Erde, der drittgrößte CO2-Emittent, die fünftgrößte Volkwirtschafts und aktuell Garant für beispielloses Wachstum. Die kurze Aufzählung zeigt, dass die globale Energiewende nur gelingen kann, wenn sich Indien dieser Herausforderung stellt und auf die Unterstützung von Politik und globalen Investoren bauen kann. Caroline Le Meaux, Global Head of ESG Research, Engagement and Voting bei Amundi, und ihr Team analysieren die aktuellen Herausforderungen Indiens und skizzieren Möglichkeiten der Energiewende.

Notwendige Energiewende

Die geopolitischen Verschiebungen der vergangenen Jahre haben Indiens Bedeutung gestärkt. Politisch will das bevölkerungsreichste Land der Welt seine Vermittlerrolle zwischen Ost und West weiter ausbauen, wirtschaftlich weiter wachsen und dabei die Energiewende vorantreiben. 2030 will Indien 50% seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien decken und 2070 das eigene Netto-Null-Ziel erreichen.
Notwendige, aber große Ziele, wenn man bedenkt, dass Indien aktuell der drittgrößte CO2-Emittent der Welt ist; mit einer Wirtschaft, die immer noch stark von fossilen Brennstoffen, insbesondere Kohle, abhängig ist. Zusätzlich werden das Wachstum und der damit einhergehende Wohlstand den Energiebedarf weiter ansteigen lassen, was die Regierung veranlassen könnte, der Energiesicherheit und der Bezahlbarkeit Vorrang vor der ökologischen Nachhaltigkeit einzuräumen.

Soziale Herausforderung

Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich: Kohlebergwerke und Kohlekraftwerke sind nach wie vor ein grundlegender Sektor für Indiens Wirtschaft und Gesellschaft, der Arbeitsplätze schafft und wirtschaftlichen Wert bietet. Ein zentraler Aspekt muss die Einbeziehung aller sozialen Schichten in die Transformation sein. Umschulungsinitiativen, Personalplanung sowie sozialer Schutz und Schutz am Arbeitsplatz helfen dabei, sicherzustellen, dass der Übergang neben anderen Zielen auch die Gleichstellung der Geschlechter und die soziale Mobilität fördert.

Insgesamt ist Indien auf einem erfolgsversprechenden Weg und wird seine nationalen Klimabeiträge (NDCs)[1] voraussichtlich weit vor der Zielmarke 2030 erreichen. Wenn man jedoch bedenkt, dass Indien sein Wirtschaftswachstum durch eine Steigerung der Industrieproduktion erreichen will, so dürfte es nicht einfach werden, dieses Wachstum ohne einen massiven Anstieg der CO2-Emissionen zu erreichen. Aktuell wird erwartet, dass die indische Kohlenachfrage erst zwischen 2030 und 2035 ihren Höhepunkt erreichen wird.

Für Indiens Wirtschaft wird von 2024 bis 2031 ein durchschnittliches jährliches BIP-Wachstum von 6,8 % erwartet, und die steigende Energienachfrage wird sich weltweit auswirken. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, werden 160 bis 200 Mrd. USD benötigt, was etwa 5 % des derzeitigen BIP entspricht. Trotz erhöhter Haushaltsmittel und dem Aufbau eines Marktes für grüne Anleihen, sind erhebliche politische Maßnahmen erforderlich, um privates, insbesondere internationales Kapital anzuziehen. Darüber hinaus zwingt das komplexe geopolitische Umfeld Indien dazu, seine inländischen Produktionskapazitäten für grüne Technologie und Infrastruktur zu stärken.

 

Internationale Unterstützung

Die globale Energiewende kann nicht erreicht werden, ohne dass das bevölkerungsreichste Land der Welt auf absehbare Zeit das Netto-Null-Ziel erreicht. Die indische Regierung hat ihr Engagement im Kampf gegen den Klimawandel unter Beweis gestellt, indem sie Anreize zur Förderung der inländischen Produktion von Technologien für erneuerbare Energien geschaffen und deren Einsatz auf indischem Boden unterstützt hat. Klare Vorteile sind hier Indiens Topografie, die geografische Lage und die Wetterbedingungen, die eine gute Basis für die Nutzung erneuerbarer Technologien bilden. Darüber hinaus hat Indiens wachsende und relativ junge Bevölkerung das Potenzial, weltweit eine führende Rolle im nachhaltigen Energiesektor einzunehmen.

Um die Unterstützung der globalen Investoren für den Übergang zu fördern, hat die indische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde (SEBI) die regulatorischen Vorschriften für ESG-Investitionen aktualisiert und den größten indischen Unternehmen höhere Offenlegungsstandards und mehr Transparenz auferlegt. Darüber hinaus legt der neu eingeführte Rahmen für grüne Anleihen den Grundstein für einen stabilen indischen grünen Anleihenmarkt – bereits heute der zweitgrößte in den Schwellenländern.

Künftig sollten globale Asset Owner verstärkt mit öffentlichen Akteuren – wie Regierungsbehörden und Entwicklungsfinanzierungsinstitutionen – zusammenarbeiten, um die Finanzierung der indischen nachhaltigen Energieinfrastruktur auszuweiten, insbesondere indem sie Zugang zu günstigeren Kapitalquellen bieten und so Indien helfen, die ehrgeizigen – und global notwendigen – ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Quelleninformationen und weitere Angaben finden Sie im aktuellen Thematic Paper sowie im Amundi Research Center.

1. NDC = In den NDCs legen die Länder Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die den Klimawandel verursachen, und zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels fest.

Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von dem Amundi Asset Management und sind Stand 26. Juni 2024 (Veröffentlichung des Research). Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung des Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte des Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.